Verkauf von gemeindlichen Vermögensgegenständen

Die große Freiheit der Kommunen?

Unter TOP 7 erörtert der Gemeinderat am 31.01.2022 den Einwohnerantrag Hier.

Dort unter Punkt 4: „Allgemeine Rahmenbedingungen für die Gemeindeentwicklung”erläutert die Verwaltung:

Insgesamt stellt sich die Frage, wie wieviel den „normal verdienenden“ Bauwilligen überhaupt an Kosten für den Erwerb von Bauland zugemutet werden kann. Hier muss durch entsprechende Grundstücksverhandlungsgespräche der Einkaufspreis so festgesetzt werden, dass die Verkaufspreise für Bauland insgesamt erschwinglich bleiben.“

Ein Blick in den § 92 der Gemeindeordnung BW (GemO), der hierzu das Grundsätzliche regelt:

Veräußerung von Vermögen:
(1) Die Gemeinde darf Vermögensgegenstände, die sie zur Erfüllung ihrer Aufgaben nicht braucht, veräußern. Vermögensgegenstände dürfen in der Regel nur zu ihrem vollen Wert veräußert werden.

(2) Für die Überlassung der Nutzung eines Vermögensgegenstands gilt Absatz 1 entsprechend.

(3) Will die Gemeinde einen Vermögensgegenstand unter seinem vollen Wert veräußern, hat sie den Beschluss der Rechtsaufsichtsbehörde vorzulegen. Das Innenministerium kann von der Vorlagepflicht allgemein freistellen, wenn die Rechtsgeschäfte zur Erfüllung bestimmter Aufgaben dienen oder ihrer Natur nach regelmäßig wiederkehren oder wenn bestimmte Wertgrenzen oder Grundstücksgrößen nicht überschritten werden.

Der Minister für Inneres, Digitalisierung und Migration, Thomas Strobl (CDU), präzisiert in der Antwort auf eine Anfrage des Abgeordneten Born( SPD) im Landtag BW vom 8.06.2018 unter anderem wie folgt:

4. Sind Kommunen verpflichtet, Baugrundstücke zum Bodenrichtwert zu verkaufen? 

5. Falls Frage 4 bejaht wird, auf welche gesetzlichen Normen ist das zurückzuführen? 

Zu 4. und 5. antwortet der Minister:

„Beim Verkauf von Baugrundstücken gilt nach § 92 Absatz 1 Satz 2 der Gemeindeordnung (GemO) der allgemeine Grundsatz, dass Vermögensgegenstände in der Regel nur zum vollen Wert veräußert werden dürfen. Als voller Wert ist der Zeitbzw. Verkehrswert, nicht der Anschaffungswert zu verstehen. Nach § 194 BauGB wird der Verkehrswert durch den Preis bestimmt, der in dem Zeitpunkt, auf den sich die Ermittlung bezieht, im gewöhnlichen Geschäftsverkehr nach den rechtlichen Gegebenheiten und tatsächlichen Eigenschaften, der sonstigen Beschaffenheit und der Lage des Grundstücks oder des sonstigen Gegenstands der Wertermittlung ohne Rücksicht auf ungewöhnliche oder persönliche Verhältnisse zu erzielen wäre. Der Bodenrichtwert stellt damit für die Ermittlung des Verkehrswerts ein wesentliches Kriterium dar, jedoch gibt es keinen „Automatismus“, wonach der Bodenrichtwert mit dem Verkehrswert identisch wäre, da nach der Definition des Verkehrswerts gegebenenfalls weitere Aspekte zu berücksichtigen sind. Zur Ermittlung der Verkehrswerte werden häufig die Gutachterausschüsse eingeschaltet.” 

6. Ist es zulässig, dass Kommunen beim Verkauf von Grundstücken vom Bodenrichtwert abweichen (beispielsweise aus sozialen Gründen oder wegen anderer kommunaler Zielsetzungen)? 

Zu 6. antwortet der Minister:

„Die Formulierung „in der Regel“ in § 92 Absatz 1 Satz 2 GemO lässt Ausnahmen von der Veräußerung zum Verkehrswert zu, was jedoch nach Absatz 3 der Vorschrift eine Vorlagepflicht des Beschlusses bei der Rechtsaufsichtsbehörde zur Folge hat. 

§ 92 Absatz 1 GemO will insgesamt verhindern, dass sich die Gemeinde leichtfertig von Vermögen trennt, das künftigen Generationen zur Aufgabenerfüllung nützlich sein kann. Satz 2 verpflichtet daher zu einer transparenten Vermögenspolitik, die nicht mit verdeckten Subventionen oder anderer Vorteilsgewährung verbunden sein darf. Sinn ist die Erhaltung kommunalen Vermögens. Dieses soll zur Erfüllung kommunaler Aufgaben dienen und nicht durch Bevorzugung einzelner Dritter dem Gemeinnutzen entzogen werden. Deshalb ist für jede Verwertung kommunaler Vermögensgegenstände außerhalb der kommunalen Aufgaben eine gleichwertige Gegenleistung zu verlangen. 

Eine Veräußerung gemeindlicher Grundstücke unter dem Verkehrswert ist daher nur möglich, wenn der geringere Ansatz der gemeindlichen Aufgabenerfüllung dient. Zur Förderung des Wohnungsbaus gilt dies insbesondere im Rahmen des sozialen Wohnungsbaus nach § 3 Absatz 4 und § 4 des Wohnraumförderungsgesetzes. Außerhalb dieser Regelungen ist eine solche Veräußerung nur nach Prüfung des Einzelfalls zulässig. Hier ist ein strenger Maßstab anzulegen, wobei den Gemeinden ein Beurteilungsspielraum zusteht. Dabei dürfte eine kommunale Wohnungsbauförderung mit sozialen Auswahlkriterien und einem Kinderbonus ein zulässiger Aspekt sein.” 

  1. Falls Abweichungen vom Bodenrichtwert (ggf. in begründeten Fällen) zulässig sind, in welchem Umfang sind diese Abweichungen zulässig? 
  2. Falls auch in begründeten Fällen Abweichungen vom Bodenrichtwert nicht zulässig sind, welche weiteren Möglichkeiten, außer einem Einmalzuschuss z. B. in Form eines Kinderbonus, stehen Kommunen zur Verfügung, um mit der Ausweisung von Baugebieten die Grundstückskosten für Familien erschwinglich halten zu können? 

Zu 8. und 9.antwortet der Minister: 

In welchem Umfang Abweichungen vom Verkehrswert zur Schaffung von bezahlbarem Wohnraum zulässig sind, lässt sich nicht pauschal beantworten. Dies hängt bei entsprechender Leistungsfähigkeit der Gemeinde unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit (§ 77 GemO) vom jeweiligen Einzelfall ab. 

Die Europäische Kommission hat im Übrigen im Februar 2017 nach langjährigen Verhandlungen die zwischen Bayern und dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit abgestimmten Leitlinien zur Ausgestaltung von sog. Einheimischenmodellen akzeptiert. Unter Berücksichtigung des Grundrechts auf Freizügigkeit dienen Einheimischenmodelle dazu, einkommensschwächeren und weniger begüterten Personen der örtlichen Bevölkerung den Erwerb angemessenen Wohnraums zu ermöglichen. Sie geben zwingend zu beachtende Rahmenbedingungen für die Zulässigkeit von Einheimischenmodellen vor, gewähren aber innerhalb dieser Vorgaben ein großes Maß an Gestaltungsspielraum für die Kommunen. Bei der Ausgestaltung können neben Einkommen und Vermögen auch individuelle Merkmale, wie Zahl der Kinder, pflegebedürftige Angehörige oder auch eine ehrenamtliche Tätigkeit eine Rolle spielen. 

(Anmerkung: Hervorhebungen AGORA-LA)

AGORA-LA hat am 24.01.2022 bei der Gemeindeverwaltung in Hinblick auf die Sitzungsvorlage und den GemO- Vorgaben nachgefragt.

AGORA-LA: Wie würde die Gemeinde mit der oben angesprochenen Erschwinglichkeit  für den  Normalverdiener umgehen, wenn sie selbst im Besitz einer Fläche ist und günstig weiterverkaufen will?

Die Pressestelle der Gemeindeverwaltung hat am 25.01.2022 geantwortet:

„In Bezug auf Ihre Presseanfrage kann ich Ihnen mitteilen, dass die Gemeinde natürlich daran gehalten ist die Vorgaben, die sich aus der GemO ergeben, zu beachten. 
Bei der Vergabe von Baugrundstücken sind vorab Vergabekriterien zu erarbeiten. Inwieweit hier soziale Komponenten einfließen werden und können, ist dann vom Gremium zu beraten und zu beschließen.
Die Verwaltung verspricht sich durch die von der Verwaltung angestrebte Wohnbedarfsanalyse entsprechende Hinweise, die in diesem Punkt Lösungen aufzeigen.”

Fazit: 

So einfach ist es also nicht mit der Erschwinglichkeit für Normalverdiener. Denn:„ Eine Veräußerung gemeindlicher Grundstücke unter dem Verkehrswert ist daher nur möglich, wenn der geringere Ansatz der gemeindlichen Aufgabenerfüllung dient. Zur Förderung des Wohnungsbaus gilt dies insbesondere im Rahmen des sozialen Wohnungsbaus nach § 3 Absatz 4 und § 4 des Wohnraumförderungsgesetzes.”

Es dürfte in jeder Hinsicht kompliziert werden. Gemeinderat und Verwaltung werden in ihrer Entscheidungsfindung gefordert sein.

Vgl. auch :Zusammenfassung des SÜDKURIER-Artikels zum Thema hier.

Aktualisierung, 29.01.2022, 18.23 Uhr:

Ergänzung: Einwohnerantrag aus der Sitzung vom Dezember 2021 und Stellungnahme NABU (s.u.)

Anmerkung AGORA-LA: Dieser Antrag ist leider im Bürgerinformationssystem über die Sitzungsvorlagen vom Dezember nicht mehr zu finden ERROR: Er ist aufrufbar , 30.01.2021, 13.35 Uhr HIER TOP 6

Stellungnahme des NABU Langenargen, Januar 2022

Warum wir die Streuobstwiese und Ausgleichsfläche am Mooser Weg als Teil des „geschützten Grünbestands Höhe“ und als Teil des Grünzugs zwischen Bodensee und Hinterland erhalten müssen.

Wohnraumpolitik ist mit den Belangen des Landschafts-, Natur-, Artenschutz in Einklang zu bringen (vgl. §1 BauGB). Der Bereich „Höhe“ ist in mehreren Beschlüssen und auf verschiedenen Planungsebenen für den Landschafts-, Natur-, Artenschutz bestimmt worden. Entsprechend der neuen Gesetzgebung des NatSchG und der Raumplanung ist dieser Naturraum weiter zu stärken, um den drängenden Problemen wie dem Landschafts- und Biodiversitätsverlust und den Folgen des Klimawandels zu begegnen. [. . . ]

Der gesamte Text der Stellungnahme findet sich hier auf der Seite vom NABU.

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