Ansprache zum Volkstrauertag 2023 in Langenargen

von Reinhard Schick

Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger!

Wir haben uns heute versammelt zur Feier des Volkstrauertages, zum Gedenken der Gefallenen und der zivilen Opfer der beiden Weltkriege, aber auch der Verfolgten und Ermordeten durch die Gewaltherrschaft der Nazis in Deutschland.

Auf der Tafel des Ehrenmals hier auf dem Friedhof sind 44 Gefallene des 1. Weltkriegs und 152 Tote des 2 Weltkriegs verzeichnet, darunter 7 Zivilisten und 28 Vermisste. Von den 152 Toten entfallen allein auf die letzten beiden Kriegsjahre 72 Tote – fast die Hälfte fielen also in den letzten 16 Monaten des Krieges – eine gewaltige Zahl für einen Ort, der zu Beginn des 2. Weltkriegs 3000 Einwohner zählte.

Bei vielen Familien ist die Erinnerung an die gefallenen und vermissten Söhne, Väter, Brüder noch wach, besonders an die Opfer des 2. Weltkriegs. Von den 152 Toten dieses Krieges möchte ich stellvertretend 24 Namen verlesen: Manche Familiennamen könnte ich zwei- und dreimal, ja sogar viermal nennen. Hinter jedem einzelnen Namen verbirgt sich ein dramatisches, erschütterndes Schicksal.

1939: 1 Gefallener: Ruess Josef, 1940: 2 Gefallene: Beha Johann Baptist, Wengert Franz, 1941: 4 Gefallene: Schäfler Max, Spannagel Alois, 1942: 19 Gefallene: Bernhard Eugen, Brugger Johannes, Kehle Hermann, 1943: 28 Gefallene: Kramer Karl, Magg Anton, von Mannstein Alfred, 1944: 41 Tote: Bentele Hermann, Jäger Theresia, Oeckl Richard, Sauter August, Waldvogel Josef, 1945: in nur 4 Monaten 37 Tote: Bucher Helmut, Bumm Albert, Enderlin Wally, Hummel Hermann, Wocher Adolf, und 28 Vermisste im 2. Weltkrieg: Baumann Hermann, Fessler Ernst, Maucher Josef.

Herr, gib ihnen die ewige Ruhe. Und das ewige Licht leuchte ihnen. Herr, lass sie ruhen in Frieden. Amen.

Sie sind in diesen Krieg gezogen im Vertrauen darauf, ihr Land zu verteidigen – und mussten das größte Opfer bringen: ihr junges Leben hinzugeben. Viele ihrer Kameraden sind schwer gezeichnet heimgekehrt. Heute wissen wir, dass sie verführt und missbraucht wurden für einen Angriffs- und Eroberungskrieg. In den Jahren 1944 und 1945, als die Zahl der gefallenen und vermissten Langenargener Soldaten drastisch anstieg, wurden sie missbraucht für einen aussichtslosen Kampf gegen übermächtige Gegner. Dennoch soll ihr Lebensopfer nicht vergessen sein als Mahnung für uns zu Gedenken, Friedensbereitschaft und Wachsamkeit.  

In der über 1250jährigen Geschichte unseres Heimatortes war die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts mit Kriegen, brutaler Gewaltherrschaft und wirtschaftlicher Not sicherlich eines der dunkelsten Kapitel, auch wenn der Ort selber und die Zivilbevölkerung nicht so radikal beschädigt wurde wie es in Friedrichshafen und anderen Städten Deutschlands und Europas geschah. Wir können froh sein, dass wir in der zweitenHälfte des 20. Jahrhunderts eine Periode des Friedens, des Wohlstands und der politischen Stabilität erleben durften. Dafür zu danken und darum zu bitten sind wir heute auch an diesem Ort des Gedenkens zusammengekommen.

Dass Frieden und Wohlstand, Demokratie und freiheitliche Gesellschaft kein Selbstläufer sind, erinnern uns die Ereignisse seit der Jahrtausendwende. Dieses Gedenken heute wird überschattet von den dramatischen Bildern aus dem Nahen Osten und den Nachrichten von den anhaltenden Kämpfen in der Ukraine. So ist der Volkstrauertag auch ein Tag aktueller Trauer. Das Gedenken an die Opfer der Kriege des 20. Jahrhunderts gewinnt dadurch eine neue Dimension, besonders aber das Gedenken des Volkstrauertages an die brutale Vernichtung der jüdischen Mitbürger in den 12 Jahren der Nazi-Herrschaft. 

Ein Leitwort der deutschen Politik der Nachkriegsjahre bestand aus zwei Worten: Nie wieder! Nie wieder Krieg, nie wieder Gewaltherrschaft, nie wieder Vernichtung einer ganzen Bevölkerungsgruppe! 

Viele haben in den vergangenen Jahrzehnten daran geglaubt, dass die Schrecken des Krieges, der Diktatur, des Genozids, ein für alle Mal, zumal in Europa, gebannt seien. Sie haben darauf vertraut, dass militärische Abschreckung immer weniger wichtig wird, dass eine demokratische und freiheitliche Gesellschaftsordnung eine solche Strahlkraft entwickeln würde, um unser Land und die Länder der Welt zu Versöhnung und Frieden, zu Freiheit und Wohlstand zu führen. Diese berechtigten Hoffnungen haben sich nicht erfüllt.

Im letzten Jahr haben wir gesehen, wie ein großes europäisches Land das Nachbarland als leichte Beute betrachtet und es rücksichtslos überfallen hat. Unser Entsetzen darüber wird von vielen Staaten der Welt nicht geteilt.

Vor 6 Wochen hat ein barbarischer Angriff das Land Israel erschüttert, ein Land dem Deutschland in besonderer Verantwortung verbunden ist. Die Meinungen über diesen Konflikt gehen weitauseinander. Auf der ganzen Welt ist eine autokratische, diktatorische Gesellschaftsordnung wieder auf dem Vormarsch, nicht das demokratische und tolerante Modell der europäischen und nordamerikanischen Staaten. Es gilt die Realität zu sehen, auch wenn sie in Kontrast zu unseren Wünschen und Hoffnungen steht – und daraus die Konsequenzen zu ziehen.

Wir sind angewiesen auf eine funktionierende Landesverteidigung und danken den Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr für ihren Einsatz und ihre Bereitschaft zur Verteidigung unseres Landes und unseres Bündnisses. Darin eingeschlossen sind die ehemaligen Mitglieder der Bundeswehr, die sich zur Soldatenkameradschaft Langenargen und zum Soldatenverein Oberdorf zusammengeschlossen haben und die Tradition des vor genau 200 Jahren in Langenargen gegründeten Kriegervereins weiterführen. 

Ebenso danken wir den Schutzkräften der Polizei, die den inneren Frieden unseres Landes gewährleisten. Wir danken den gesetzgebenden, rechtsprechenden und vollziehenden Organen von der Ebene der Gemeinde bis zum Bund für die Sicherung des Rechtsfriedens, ohne den kein Leben in Gemeinschaft möglich ist. Wir danken den Hilfsdiensten der frw. Feuerwehr, des Roten Kreuzes, des DLRG, des VdK, des Sozialverbandes gegründet als Verband der Kriegsbeschädigten; wir danken der Bürgerkapelle, dem Turnverein, dem Verein für Volks- und Brauchtum d‘ Dammglockner, der Schützengilde, den Jugendverbänden und allen Vereinen, die einen so wichtigen Beitrag für das gemeinschaftliche, friedliche und freiheitliche Zusammenleben in unserer Gemeinde leisten.  

Zum Schluss sei mir noch ein persönliches Wort gestattet:

Wenn ich in die Runde schaue, sehe ich vor allem die älteren Jahrgänge und Funktionsträger der Gemeinde sowie der Vereine vertreten. Vielleicht wäre es auch in Langenargen an der Zeit, wie in den Nachbargemeinden Eriskirch und Kressbronn über eine breitere, inklusivere Gestaltung der Feier zum Volkstrauertag nachzudenken und neben dem Gedenken der Gefallenen auch die Werte unseres Gemeinwesens für alle Bürgerinnen und Bürger in Erinnerung zu rufen, damit Frauen und Männer, Junge und Alte mit Überzeugung einstimmen können: „Einigkeit und Recht und Freiheit sind des Glückes Unterpfand.“ 

Wir senken unsere Fahnen vor den Gefallenen aus unserer Heimat Langenargen, 

vor den Kindern, Frauen und Männern, die Opfer von Gewalt und Krieg geworden sind,

vor den Menschen, die verfolgt und getötet wurden, weil sie einem anderen Volk angehörten, einer anderen Rasse zugerechnet wurden, Teil einer Minderheit waren oder deren Leben wegen einer Krankheit oder Behinderung als lebensunwert bezeichnet wurde.

Wir gedenken 

der Menschen, die ums Leben kamen, weil sie Widerstand gegen Gewaltherrschaft geleistet haben

der Opfer der Kriege und Bürgerkriege unserer Tage, der Opfer von Terrorismus und politischer Verfolgung.

Wir trauern hier auf dem Friedhof unserer Gemeinde mit allen, die Leid tragen um die Toten und teilen ihren Schmerz.

Vor dem Ehrenmal mit den Namen der Gefallenen beider Weltkriege, im Bewusstsein der Erfahrungen aus Geschichte und Gegenwart neigen wir unser Haupt – nicht in Resignation – nein, wir blicken nach vorne und bekräftigen in dieser Stunde des Gedenkens unseren Einsatz für Frieden und Freiheit, für Rechtsstaat und Demokratie, für Toleranz und Menschlichkeit.    

Ich danke Ihnen.


Reinhard Schick bei seiner
Ansprache
Bürgermeister Ole Münder mit der stellvertretenden Bürgermeisterin Susanne Porstner

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