Deutsche Bodensee Tourismus GmbH und ECHT BODENSEE CARD

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Foto Bellum 2019

Verlängerung des Koop-Vertrages einstimmig beschlossen

Basiert die Entscheidung auf belastbaren, validen Argumenten?

Gastbeitrag: Gerd Kupper, Langenargen

Der Rat der Gemeinde Langenargen entschied einstimmig im Juni 2019 den Kooperationsvertrag mit der Deutsche Bodensee Tourismus GmbH zu verlängern.

Argumente: Die ECHT BODENSEE CARD trägt zur Schonung der Umwelt bei. Die sonstigen Vergünstigungen entlasten das Urlaubsbudget. Einige befragte, Bahn und Bus fahrende, Urlaubsgäste befürworten das EBC-Angebot.

Bei Lichte betrachtet zeigt sich, dass die Argumente nicht valide sind und der Zustimmung zur Verlängerung des Kooperationsvertrages eine Bauchentscheidung zugrunde gelegen hat.

  • 5 Prozentaller Touristen nutzen die EBC um mit Bahn und Bus Tagesziele zu erreichen.
  • Eine nennenswerte Steigerung der Anzahl Bahn und Bus fahrender EBC-Touristen ist nicht wahrscheinlich.
  • Bahn und Bus fahrende EBC-Touristen entlasten nicht signifikant die Umwelt.
  • Für das Tagesticket kassieren die Verkehrsunternehmen den normalen Bodo-Tagespreis (1 Urlauber fährt, 21 Urlauber zahlen).
  • Mit dem EBC-Solidarbeitrag werden die Verkehrsunternehmen in geringerem Maße subventioniert.
  • Die sonstigen EBC-Vergünstigungen stiften keinen neuen, anderen Zusatznutzen.
  • Das Urlaubsbudget wird durch die sonstigen EBC-Vergünstigungen nicht nennenswert entlastet.
  • Kreative Touristiker können Alternativen entwickeln.
  • Die DBT entfaltet keinen messbaren Erfolg für Langenargen.
  • Eine Gästebefragung muss die subjektiven Gästebeurteilungen mehrheitlich bestätigen.

Nachstehend die Details:

Am 05. Juni 2019 stand die Verlängerung des Kooperationsvertrages mit der Deutsche Bodensee Tourismus GmbH (DBT) und der Marke ECHT BODENSEE CARD (EBC) zur Entscheidung durch den Rat der Gemeinde Langenargen an. Nachdem der Stellvertretende Bürgermeister Zodel auf den Beitrag der EBC zur Entlastung der Umwelt und den sonstigen Vergünstigungen der EBC sowie auf gelegentliche Gespräche mitreisender Bahnfahrer hinwies, wurde einstimmig beschlossen, den Vertrag um zwei Jahre zu verlängern.

Erfahrungen einzelner Hoteliers und Gastgeber, die zwar bemerkenswert sind, jedoch nicht repräsentativ sein können, mögen dabei eine Rolle gespielt haben.

Ein allgemein gültiger Grundsatz des Marketings lautet, dass das subjektive Empfinden, die subjektive Wahrnehmung des Kunden (hier: Urlaubers) entscheidend und ihm alles unterzuordnen ist. Übertragen auf die Deutsche Bodensee Tourismus GmbH (DBT) und der ECHT BODENSEE CARD (EBC) bedeutet dies, dass der Kooperationsvertrag dann zu erneuern ist, wenn die Kunden (Urlauber) die Gästekarte (EBC) den Hoteliers / Gastgebern mehrheitlich „aus den Händen reißen“ oder die Urlauber die EBC vermissen würden, gäbe es sie nicht. Gäbe es belastbares Zahlenmaterial wäre die Entscheidung für eine Verlängerung des Kooperationsvertrages nachvollziehbar gewesen.

Es ist also zu fragen, wie valide die Argumente, insbesondere der Beitrag zum Umweltschutz und die Ersparnisse durch sonstige Vergünstigungen, sind.

Wie häufig wird die EBC im ÖPNV eingesetzt? Ist eine nennenswerte Steigerung der Anzahl Bahn und Bus fahrender Urlauber wahrscheinlich?

Statistische Daten über die Nutzung der EBC im ÖPNV liegen offensichtlich nicht vor. Wäre die Chipkarte eingeführt worden, wäre feststellbar, wie häufig eine EBC genutzt wird. Vorstellbar ist auch, dass die gefahrenen Streckenabschnitte einer Beurteilung unterzogen werden würde. Da es die Chipkarte nicht gibt, muss man sich mittels Ein-/Abschätzung einer Beurteilung nähern.

Um die Dimension der Aufgabe greifbarer und überschaubarer zu machen, werden die Übernachtungen des besucherstärksten Monats in Langenargen, das ist der August, zugrunde gelegt. Bei gerundet 50 000 Übernachtungen im Monat entspricht dies 1 613 anwesenden Urlaubern pro Tag.

Würden alle anwesenden Urlauber (1 613) ihre ausgewählten Tagesziele mit einem mit 2,5 Personen besetzten  PKW anfahren, dann würden 644 PKW bewegt oder umgekehrt, bei Nutzung des ÖPNV stünden 644 PKW auf dem Hotelparkplatz.

Würden alle anwesenden Urlauber (1 613) in einem Zeitfenster von drei Stunden (beispielsweise 8 – 11 h) aufbrechen, um Tagesziele zu erreichen, dann stünden während einer Stunde 537 Personen am Bahnhof oder an Bushaltestellen.

Das vorgenannte Beispiel ist zwar vorstellbar, jedoch unwahrscheinlich. Würde die Hälfte aller anwesenden Urlauber (800) in einem Zeitfenster von drei Stunden (beispielsweise 8 – 11 h) aufbrechen um Tagesziele zu erreichen, dann stünden während einer Stunde 267 Personen am Bahnhof oder an Bushaltestellen. Auch dieses Rechenbeispiel erweist sich als unrealistisch: Abgesehen davon, dass bisher niemand derart viele Urlauber am Bahnhof oder an Haltestellen gesehen haben wird, wären Bahnen und Busse hoffnungslos zum Brechen überfüllt, da die Zusteigenden auf Urlauber aus Kressbronn oder Friedrichshafen stoßen würden.

Bei Betrachtung der untenstehenden Tabelle 1 gelangt man zu einer hinreichend genauen Vorstellung und Abschätzung, dass etwa 5 % der anwesenden Urlauber (= 80 Personen) Bahn und Bus – und somit die EBC – nutzen, um ein Tagesziel zu erreichen. Dementsprechend können in einem Zeitfenster von drei Stunden stündlich 27 auf Bahn und /oder Bus wartende Urlauber am Bahnhof oder an Haltestellen angetroffen werden. Dies könnte durch eine Beobachtung / Befragung vor Ort verifiziert werden. 32 PKW stünden unbewegt auf dem Hotelparkplatz.

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 Tabelle 1

Ist mit einer Steigerung der den ÖPNV nutzenden Urlauber zu rechnen?

Vorstellbar ist, dass durch eine zunehmende gesellschaftspolitische Debatte („Weg vom motorisierten Individualverkehr“) weitere Urlauber den ÖPNV nutzen. Dies hat jedoch zwei limitierende Faktoren / Grenzen:

  1. Die Urlaubs- / Freizeitgewohnheiten werden sich absehbar nicht von rad-/ schifffahrenden oder wandernden Urlaubern hin zu Bahn und Bus fahrenden Urlaubern verschieben.
  2. Die vorhandenen Kapazitäten der Bahnen und Busse verkraften lediglich eine überschaubare Anzahl ÖPNV-Urlauber. Überlastete Bahnen und Busse und eingeschränkte Radtransportmöglichkeiten schrecken ab. Das Einsetzen von Entlastungsbahnen und – bussen führt zu sprungfixen Kosten, die das Preismodell der EBC nicht verkraften würde.

Fazit

  • Das Potenzial der EBC als Zugang zum ÖPNV liegt zwischen 5 – 10 % der Langenargner Urlauber (und auch der Urlauber in anderen Gemeinden). Eine großmaßstäbliche Nutzung der EBC als Zugang zu Bahn und Bus wird nicht eintreten.
  • Es bedarf keines Zeitraums von 5 -7 Jahren, wie behauptet, um den Nutzungsgrad der EBC im ÖPNV messbar zu ermitteln.

Trägt die EBC zu einer relevanten Entlastung der Umwelt bei?

Sicherlich trägt jeder nicht bewegte PKW zu einer CO2– und NOX-Reduktion der Umwelt bei. Mit Blick auf die wenigen PKW, die die Urlauber auf dem Hotelparkplatz stehen lassen, ist dies keine nennenswerte Entlastung der Umwelt. Der Umweltgedanke scheidet damit als das Entscheidungskriterium zur Fortsetzung des Kooperationsvertrages mit der DBT aus; der Zweck des Unternehmens besteht in der „Förderung des deutschen Bodenseeraums … im Bereich Tourismus …“ und eben nicht primär in Verbesserungsmaßnahmen zur Reinhaltung der Luft.

Will man die Umwelt durch eine steigende Nutzung des ÖPNV ernsthaft entlasten, dann müssen zunächst die motorisierten großen Pendlermassen durch ein verbessertes ÖPNV-Angebot bewegt werden.  (So wie man eine Treppe von oben nach unten kehrt und nicht umgekehrt.) Auch Kommunalpolitiker einer „Urlaubsgemeinde“ sollten dementsprechende Forderungen formulieren.

Fazit

  • Die EBC führt zu keiner relevanten Entlastung der Umwelt.

Reist der EBC-Urlauber mit dem Bodo-Tagesticket wirklich zum Preis von 1 Euro?

Die Kurtaxe beinhaltet einen (1) Euro Solidarbeitrag von dem 25 Cent an die DBT und 75 Cent an Bodo fließen.

Ein Bodo-Tagesticket kostet aktuell 15,90 Euro. Ein Betrag, zu dem Bodo und die verbundenen Verkehrsunternehmen infolge der Zuschüsse des Landes und der Kommunen den Kunden im Geschäftsjahr 2018 transportieren kann.

DBT_Tabelle 2_06102019

Tabelle 2

Fazit

  • In der Wahrnehmung der Urlauber kostet das Tagesticket 1 Euro.
  • Bodo bzw. die Verkehrsunternehmen generieren durch den Solidarbetrag von 21,2 Urlaubern den normalen Preis für das Tagesticket.
  • Der EBC-Urlauber wird gegenüber den Einheimischen Nutzern des ÖPNV nicht bevorzugt.

Wird der defizitäre ÖPNV mittels EBC subventioniert?

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Tabelle 3

Fazit

  • Auch mit anteiligem Solidarbeitrag aus insgesamt 900 000 Euro (bei 1,2 Mio. Urlaubern) ist die Bodensee-Oberschwaben-Bahn GmbH auf nennenswerte Zuschüsse des Landes angewiesen.
  • Das Beispiel der Bodensee-Oberschwaben-Bahn GmbH zeigt, dass der Jahresüberschuss wesentlich aus den anteiligen Erlösen aus der EBC generiert wird.

Haben die übrigen Leistungsmerkmale der EBC Substanz?

Neben freier Fahrt in Bus und Bahn wirbt die EBC mit zahlreichen Vorteilen und Vergünstigungen bei vielen Ausflugszielen und Freizeitangeboten am Bodensee. Was ist dran?

Anders als Bodo generieren die anderen Leistungspartner keine Einnahmen aus einem Solidarbeitrag. Es gibt einen Werbeeffekt durch das Erwähnen des Ausflugsziels / des Freizeitangebotes in einer EBC-Broschüre. Dementsprechend erhalten die EBC-Besucher geringfügige Rabatte auf den Eintritt, eine Tasse Kaffee, eine Anstecknadel, …

Man stelle sich vor, alle Besucher des Pfahlbau Museums würden mit der EBC einen spürbaren Rabatt bei Einlass erhalten. Dann müsste der Betreiber, will er nicht auf einen Teil seines Gewinnes verzichten, am Ende des Jahres neu kalkulieren und die Eintrittspreise erhöhen.

Die möglichen Rabatte auf Eintrittsgelder führen zu keiner nennenswerten Entlastung eines Urlaubsbudgets und können somit auch zu keiner Buchungsentscheidung pro Langenargen beitragen – weder bei sparsamen noch ausgabefreudigen Urlaubern.

Die Leistungsangebote traditioneller Gästekarten (z.B. freier Eintritt im örtlichen oder in ortsnahen Strandbädern) wird als selbstverständliches Standardangebot empfunden.

Fazit

  • Die EBC offeriert weder einen relevanten Zusatznutzen im Vergleich zu einer traditionellen Gästekarte noch entlastet sie das Urlaubsbudget.

Exkurs: Was könnte exklusiv den Langenargen-Urlaubern angeboten werden?

Beispiel: Alle in Langenargener Hotels und Unterkünften wohnenden Urlauber, die mehr als drei Tage Aufenthalt gebucht haben, erhalten zusätzlich zu den Vergünstigungen einer traditionellen Gästekarte eine deutliche, spürbare Rückvergütung für Kursschifffahrten ex oder mit Ziel Langenargen. Diese Rückvergütung könnte aus den Mehreinnahmen der bereits erhöhten Kurtaxe gespeist werden. Ein derartiges Angebot hätte Exklusivcharakter, würde zu einem Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Touristenzentren führen und könnte zu einer Verlängerung des Aufenthalts motivieren. An dieser Stelle ist die Kreativität der Touristiker gefragt.

Fazit

  • Alternativen zur EBC sind vorstellbar.

Hat der Kooperationsvertrag mit der Deutsche Bodensee Tourismus GmbH bisher zu einem messbaren Erfolg für Langenargen geführt?

Der Abschluss des ersten Kooperationsvertrages beinhaltete offensichtlich kein messbares Leistungsversprechen der DBT. Auch seitens der Gemeinde Langenargen (Verwaltung und Rat) wurde, so stellt es sich dar, keine nachlesbare, strategische wie auch operative Erwartungshaltung formuliert. Dementsprechend gibt es auch keine jährliche Erfolgskontrolle.

Infolge des Gemeinderatsbeschlusses vom 05.06.2019 tritt ein modifizierter Vertag mit sofortiger Wirkung in Kraft. § 1 (3) legt fest:

Die Kommune hat keinen vertraglichen Anspruch auf allgemeine oder konkrete Werbe- oder Marketingmaßnahmen, insbesondere auch nicht auf entsprechende Maßnahmen, die speziell auf die Gemeinde bezogen sind.

Damit wird deutlich, dass sich die DBT auf ein Bodensee regionsspezifisches Marketing konzentriert. Inwieweit die DBT hierbei messbar erfolgreich ist, ist nicht zu klar und auch nicht zu erkennen und wird seitens der DBT auch nicht dargestellt.

Im Zeitraum von 2014 – 2018 sind die Übernachtungen für die Gewerblichen Vermieter in Langenargen um sieben Prozent gesunken, was nicht mit der Abnahme von 25 Schlafgelegenheiten oder längeren Winterschließzeiten zu erklären ist. Im gleichen Zeitraum sind die Übernachtungen im Bodenseekreis um zehn Prozent angestiegen. Quelle: Statistisches Landesamt BW.

DBT_Grafik 1_06102019

           Grafik 1

Fazit

  • Das Engagement der DBT entfaltet auf Langenargen keinen messbaren Erfolg.
  • Die Gemeinde Langenargen muss ihr touristisches Angebot, strategisch und operativ, in eigener Regie, eigenverantwortlich vermarkten.

Was bringt eine Gästebefragung?

Die Geschäftsführung der DBT sagte zu, eine Gästebefragung in Auftrag geben zu wollen. Dies muss auch eine unmissverständliche Forderung des Rates der Gemeinde Langenargen sein, so dass vor einer erneuten Verlängerung des Kooperationsvertrages eindeutige Klarheit über Kunden- / Gästebedürfnisse besteht.

Allerdings darf das Ergebnis einer repräsentativen Gästebefragung nicht nur für den Bodenseekreis gesamthaft herbeigeführt werden. Unabdingbar ist das signifikante Ergebnis einer repräsentativen Befragung der in Langenargen urlaubenden Touristen. Ohne dieses Ergebnis keine weitere Verlängerung eines Kooperationsvertrages mit der DBT.

Damit das Ergebnis einer Befragung auch eine hohe Akzeptanz erfährt, ist es erforderlich, dass nicht nur die Gewerblichen sondern auch die Privaten Vermieter im Vorfeld der Befragung hinzugezogen werden. Das Ergebnis der Gästebefragung müsste spätestens am Jahresanfang 2021, besser noch zum Jahresende 2020 vorliegen.

Fazit

  • Die DBT muss dem Rat der Gemeinde Langenargen die (rechtzeitige) Durchführung einer Gästebefragung verbindlich bestätigen.
  • Gewerbliche und Private Vermieter müssen im Vorfeld der Befragung hinzugezogen werden, um ein differenziertes Ergebnis für Langenagen sicherzustellen.
  • Vor allem mit Blick auf kreative Alternativen sollte der Rat der Gemeinde Langenargen die Durchführung einer auf Langenargen konzentrierten Befragung beschließen.

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