ist entscheidend

Nicht nur der heutige Tag ist entscheidend. Sicher viele weitere auch. Wer immer noch Zweifel hat, möge nach Italien schauen. Über den Newsletter von CORRECTIV erreichte AGORA dieser Beitrag des italienischen Mitarbeiters Giulio Rubin von CORRECTIV, der in Italien das Center für investigativen Journalismus gegründet hat. Heute lebt und arbeitet er in Deutschland. Hier ist sein Brief an seine Leserschaft, den AGORA gerne abdruckt. Eine Ermunterung an uns alle durchzuhalten.

Der Frühling ist da in Rom. Für viele ist sein weiches Sonnenlicht derzeit die einzige Umarmung. Selbst wer nur eine Flasche Milch kaufen will, muss auf einem Formular die unbedingte Notwendigkeit dieses Unterfangens begründen.
Dabei sind die Straßen alles andere als leer. Viele Menschen, die bisher ihr Leben auf der Couch verbracht haben, gehen auf einmal Joggen. Italiens Hunde werden bald die fittesten der Welt sein, so oft werden sie derzeit ausgeführt.
Doch langsam realisieren wir den Ernst der Lage. Und fragen uns, wie lange diese Situation andauern wird und wie lange wir bei klarem Verstand bleiben können. Vor einigen Tagen verstarb mein Onkel in Mailand nach einem Krebsleiden. Ich kann nicht reisen, um meine Cousins zu sehen und meiner Tante Beistand zu leisten. Wir können nicht einmal ein Begräbnis abhalten. Alle Väter und Mütter, die in diesen Tagen sterben, sterben alleine.
Und, vielleicht noch trauriger, selbst ein glücklicher Moment wie die Geburt eines Kindes vollzieht sich in Einsamkeit. Eine meiner Cousinen erwartet in diesen Tagen ihr Kind. Ihr Mann darf nur ganz kurz dabei anwesend sein.
Dabei zähle ich noch zu den Glücklichen. Ich habe ein festes Einkommen und lebe mit meiner Freundin und zwei Katzen. Wenn wir mit meiner Schwester auf dem Dach Sport treiben, fühlt es sich an wie eine Party.
Man sagt, dass Einsamkeit tödlicher ist als Tabak oder Alkohol. In westlichen Großstädten ist die soziale Isolation ohnehin schon groß und in der aktuellen Krise sind wir zu noch größerer Isolation gezwungen. Unsere einzige Hoffnung ist, dass wir es nach der Krise anders machen.
Giulio Rubino
Als italophile Redaktion leidet AGORA mit.

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