Abstimmen bis der Arzt kommt?

Exitus Demokratie in Kressbronn

Achtung: Es wird etwas umfangreicher!

Zur Vorgeschichte: Wir erinnern uns an den Bürgermeisterwahlkampf in LA. Dort wurde vom Altbürgermeister Krafft in seiner Wahlbroschüre mit dem interkommunalen Gewerbegebiet Kapellenesch/Haslach in Kressbronn geworben und in einem offenen Brief  (28.10.2020) vom Fraktionsvorsitzenden der Offenen Grünen Liste, Ziebart, damals gefragt, was es damit auf sich habe: 

„Sie ( gemeint BM Krafft, Ergänzung AGORA) sprechen vom interkommunalen Gewerbegebiet, das kürzlich nach den Informationen der Presse aus dem Entwurf zum Regionalplan entfernt wurde. Wenn Sie dazu eine andere Information haben, wäre ich ebenso für eine Unterrichtung dankbar.“

Es ist wohl laut Presseberichten tatsächlich vom Tisch. Also auch für Langenargen und Eriskirch.

Soweit der Blick in die Vergangenheit, die allerdings die Entscheidungen der Gegenwart für die Zukunft betrifft. Warum?

Das Projekt Regionalplan legt die Bedarfe für Wohnraum, Gewerbe, Infrastruktur und Landwirtschaft fest. Über ihn wird jetzt vor Ort in den Kommunen heftig gestritten, protestiert und entschieden. So auch über das Interkommunale Gewerbegebiet (IKG), das auf Kressbronner Gemarkung liegen sollte und ursprünglich gemeinsam mit Eriskirch und Langenargen geplant war. Es wurde im Regionalplan gestrichen. Bereits vor Ostern hatte AGORA eine Presseanfrage zu der Thematik nach Kressbronn geschickt, die auch nach Fristverlängerung nicht beantwortet wurde. Kein Wunder.

In der Märzsitzung hatte Kressbronn schließlich das IKG erneut auf die Tagesordnung gesetzt. Im Ausschuss Umwelt und Technik (AUT) wurde es abgespeckt am 14.04.2021 dann nur noch als „Gewerbepark Linderhof“ der Interessengemeinschaft “Kressbronn’er Gewerbetreibende (Expansion) & Existenzgründer” thematisiert. AGORA war dort. Zu Beschlüssen kam es nicht, weil die Sitzungsunterlagen aus technischen Gründen zu spät für die Gemeinderäte verfügbar waren. Aber AGORA hatte danach Fragen, die diesmal beantwortet wurden:

1. Ist das in der gestrigen Sitzung vorgestellte Projekt “GEWERBEPARK LINDERHOF”  die Antwort auf die Ablehnung des ursprünglich mit den beiden Gemeinden geplanten IKG in Kressbronn?
Die Behandlung des Themas “Gewerbepark Linderhof” ist auf Grund des Antrags einer Interessensgemeinschaft von örtlichen Betrieben erfolgt.

2.Sind die beiden anderen Gemeinden im Vorfeld darüber informiert worden, dass Kressbronn ohne sie plant? 
Die Gemeinde befindet sich noch in keinem Planungsverfahren Gewerbepark Linderhof, sondern erst in der Ideenfindungsphase. Wie in der Sitzung gestern erläutert, sind noch sämtliche Fragen und Punkte zu klären. Ein konkretes Planungsverfahren des Gewerbeparks Linderhof ist weder beschlossen worden, noch wird dies derzeit durchgeführt.

3. Warum hat das Projekt bei der letzten GR-Sitzung im März als IKG erneut auf der Tagesordnung gestanden, wenn doch klar war, dass der Regionalverband es abgelehnt hat? ( vgl. zuvor gestellte Anfragen) Eine gewerbliche Entwicklung im Bereich Kapellesch/Haslach ist nicht von der Fortschreibung des Regionalplans ausgeschlossen. Hier müssen Ziele mit den Eigentümern vereinbart werden, welche die Gemeinde bei einer etwaigen Realisierung umgesetzt haben möchte.

4.Der Regionalverband beabsichtigt, den Regionalen Grünzug in Kressbronn um mindestens 26 ha zu reduzieren, um, falls es der Artenschutz zulässt, ein Gewerbegebiet zu erschließen. Sind in der jüngsten Vergangenheit die Bedarfe und mit welchem Ergebnis aller drei Gemeinden abgefragt worden, da es ja als interkommunales Gewerbegebiet mit diesen beiden Gemeinden des GVV geplant war? 
Die entsprechenden Bedarfsabfragen wurden im Laufe des 2. Fortschreibungsverfahrens des Flächennutzungsplans durchgeführt.

5. Ist die jetzige Planung als Alleingang der Gemeinde Kressbronn zu werten und damit die Bezeichnung “interkommunal” obsolet? Es wurden ja nur die Bedürfnisse der Betriebe in Kressbronn gestern dargestellt.
Unabhängig von dem Verfahren der Realisierung eines interkommunalen Gewerbegebietes ist die Gemeinde Kressbronn a. B. für die Belange der örtlichen Betriebe zuständig. Die Behandlung des Themas Gewerbepark Linderhof kam auf Antrag einer Interessensgemeinschaft von örtlichen Betrieben auf die Tagesordnung. In diesem Zusammenhang sind noch viele Fragestellungen zu klären.

Es geht noch weiter. . . . jetzt kommt’s:

Der Gemeinderat in Kressbronn hat in seiner Sitzung im Februar 2021 den gesamten Regionalplan abgelehnt, um ihn gestern erneut auf die Tagesordnung zu setzen.

Sie meinen, das geht nicht? Doch, in Kressbronn schon. Dann nämlich, wenn der dortige Bürgermeister Enzensperger meint, dass sein Gemeinderat ein falsches Abstimmungsverhalten an den Tag gelegt hätte. „War das der wahre Wille des Gremiums?“, so habe er, Enzensperger, sich nach der Ablehnung im Februar gefragt. Das war der O-ton von BM Enzensperger gestern bei der Einleitung zum erneut zur Abstimmung gestellten Thema Regionalplan. Er habe nach der Ablehnung des Regionalplanes durch den Gemeinderat im Februar den Eindruck gehabt, dass die Mehrheit des Gremiums nicht zufrieden war. Heißt das dann etwa: Dieses Gremium war nicht Herr seiner Sinne, als es abgestimmt hatte, weil es nicht wusste, was es tat? Das wäre starker Tobak!

Weiter erklärte BM Enzenperger, er habe nach Gesprächen mit dem Regionalverband sich außerdem das O.K. der Rechtsaufsicht beim Landratsamt für die erneute Abstimmung geholt. Dort will er erfahren haben, dass er die Abstimmungswiederholung durchführen kann, wenn die zuvor durchgeführte Abstimmung Nachteile für die Gemeinde brächte. Einwurf AGORA: Wie ist denn dieser Nachteil eigentlich definiert. . . ?

Es gab aber doch eine Eingabefrist (bis zum 28.02.2021 )beim Regionalverband, die von den Trägern öffentlicher Belange eingehalten werden musste, fragt sich die gut informierte Zuhörerschaft. Kein Problem. Hat der Bürgermeister scheinbar mühelos über den direkten Draht zum Regionalverband geklärt: Die Frist sei nicht verbindlich, hieß es dort. Es gäbe keine Ausschlussfrist, so berichtete der Bürgermeister seinem Gremium gestern. Dann endlich durfte der Fraktionsführer der BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN, Oelfken, zu Wort kommen. Der verlas nach diesen Rechtfertigungen seines Bürgermeisters eine Stellungnahme, die die undemokratische Vorgehensweise der Abstimmungswiederholung schonungslos beschrieb. 

AGORA hat ja schon manches erlebt, aber GemeinderätInnen, die nicht wissen, für was sie die Hände zur Abstimmung (10:9) heben, noch nicht.

Aber jetzt ist ja alles gut. Kressbronn ist für den Regionalverband wieder ein verlässlicher Partner. Dem Regionalplan wurde gestern mit großer Mehrheit zugestimmt und alle sind glücklich. Das genaue Abstimmungsverhalten der GemeinderätInnen konnte AGORA nicht erkennen, weil sie als Vertreterin der Presse leider nur die Rücken der eifrig aufzeigenden Mehrheit sehen konnte. Es gab nur einen Pressetisch. Der war schon belegt. So viel zur Vielfalt der Berichterstattung.

pixabay

Zu gerne wäre AGORA in den Hinterzimmern der Macht in Kressbronn Mäuschen gewesen, um zu erfahren, wie wohl die gewählten Honoratioren des Gemeinderates vom allmächtigen Bürgermeister auf Linie gebracht wurden. Eigentlich braucht man doch gar keinen Gemeinderat als „Hauptorgan der Gemeinde“: Ein Lob auf die süddeutsche Ratsverfassung, „bei der es sich um eine Mischform zwischen kollegialer und monokratischer Verfassung handelt.“ Kressbronn zeigt sich monokratisch. Kein Wunder, dass junge Menschen lieber auf Bäumen protestieren und dabei auch noch die Missbilligung der FDP-Opposition im Stuttgarter Landtag unter der Federführung ihres agrarpolitischen Sprechers Klaus Hoher ertragen müssen. Der kommt aus Salem mit einem knapp wiedergewählten Bürgermeister Manfred Härle, der sich zusammen mit anderen Bürgermeistern über den möglicherweise abgehängten Bodenseekreis Gedanken macht.

So, das ist jetzt Stoff für mehrere Tage, passend zum Tag der Erde.

Aktualisierung, 22.04.2021, 18.39 Uhr

Inzwischen hat die Schwäbische Zeitung hier geschrieben.

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