Tatort Asylunterkunft Kressbronn Juni 2022

Prozessauftakt

Vor der Schwurgerichtskammer des Landgerichts Ravensburg hat am letzten Dienstag das Strafverfahren gegen einen 32-jährigen nigerianischen Staatsangehörigen wegen des Verdachts des Mordes sowie des mehrfachen versuchten Mordes begonnen. Es war der erste Tag von mehreren weiteren Verhandlungstagen, die sich bis in den Februar erstrecken werden. Das Landgericht Ravensburg schreibt auf seiner Homepage hier eine Kurzfassung zu den Geschehnissen:

„Der Angeklagte soll am Abend des 26. Juni 2022 in einer Asylbewerberunterkunft in Kressbronn innerhalb weniger Minuten mit einem Küchenmesser (Klingenlänge 20 cm) arabisch-stämmige Mitbewohner angegriffen und auf vier Mitbewohnerinnen und drei Mitbewohner in Tötungsabsicht eingestochen haben. Einer der Mitbewohner soll hierbei tödliche, die anderen sechs betroffenen Mitbewohner/-innen schwere bis lebensgefährliche Verletzungen erlitten haben.

Hintergrund sollen Streitigkeiten innerhalb der Unterkunft und der subjektive Eindruck des Angeklagten gewesen sein, dass die Integration der arabisch-stämmigen Mitbewohnerinnen und Mitbewohner besser gelinge und vom Staat tatkräftiger unterstützt werde.“

 

Der Saal war so gut mit den verschiedenen Nebenklägern und ihren Angehörigen gefüllt, dass die Presse auf die hinteren Plätze verwiesen werden musste. Auch die Witwe des Getöteten saß im Saal. Sie befand sich zur Tatzeit im Juni noch nicht in Deutschland, sollte damals jedoch im Rahmen der Familienzusammenführung mit den Kindern nachkommen. Sie konnte jetzt mit einem Visum zum Prozessauftakt nach Deutschland einreisen. Berichtet wurde damals mehrmals hier und hier beim SÜDKRURIER, hier und hier in der Schwäbischen Zeitung. Dabei ging es immer auch um mögliche psychiatrische Verhaltensauffälligkeiten des Angeklagten, die man durch die Behörden oder die Psychiatrie vielleicht nicht genügend beachtet hatte. Der Angeklagte selbst ließ durch seinen Verteidiger erklären, dass er sich nicht äußern wolle.

Die umfangreiche Anklageschrift wurde seitens der Staatsanwaltschaft verlesen, in der minutiös den Tathergang geschildert wurde. Auf mehreren Stockwerken der Unterkunft und im Außenbereich spielte sich innerhalb weniger Minuten das Tatgeschehen ab, das am Ende sechs verletzte Menschen und einen toten syrischen Familienvater hinterließ.

Der heute 32-jährige Angeklagte äußerte sich zu den Vorwürfen nicht. Wohl aber der als Zeuge hinzugezogene forensische Psychiater und Gutachter Dr. Peter Winkler. Er berichtete von zwei Terminen, im Juli und Oktober, an denen er mit dem Inhaftierten gesprochen hatte. Er konnte in diesen Gesprächen keine Auffälligkeiten feststellen, wusste jedoch einiges zur Biografie des Angeklagten zu berichten. (vgl. auch hier): Der Angeklagte aus Nigeria sei Sohn eines Offiziers der dortigen Armee, der jedoch 2011 bereits verstarb. Auch die Mutter starb 2013. Der Angeklagte komme aus geordneten wirtschaftlichen Verhältnissen der Mittelschicht Nigerias. Auch habe er eine weiterführende Schule, in der auf Englisch unterrichtet wurde, besucht.

Er war in seinem Heimatland nicht auffällig, allerdings sei sein Vater Mitglied einer Sekte gewesen. Dieser habe ihn zwingen wollen, dort eine führende Rolle einzunehmen. ( Ergänzung der Red.: In Nigeria gibt es zahlreiche christliche Sekten. Diese Sektenzugehörigkeit und die damit angebliche Verfolgung wird scheinbar häufiger nach Recherche von AGORA-LA als möglicher Asylgrund der nigerianischen Asylbewerber angegeben, vgl. Fall aus Österreich hier):“

Welche Gründe ihn wirklich zur Flucht durch die Sahara nach Libyen geführt haben, bleibt unklar. Auf der Grundlage der beiden Gespräche mit dem Angeklagten berichtete Winkler weiter:

Seine Rolle als Fluchthelfer in Libyen ermöglichte ihm eine kostenfreie Überfahrt nach Italien. Sein Asylantrag wurde deshalb dort abgelehnt, obwohl er zuvor Arbeit und eine Wohnung fand. Den nächsten Asylantrag stellte er daraufhin in Deutschland. 

Seit 2020 lebt er nach mehreren Wechseln der ihm zugewiesenen Unterkünfte in Kressbronn. Dort und auch an seiner Arbeitsstelle in Kressbronn fühlte er sich zunehmend wegen seiner Hautfarbe diskriminiert. Außerdem habe er nach seiner Wahrnehmung eine Ungleichbehandlung der Geflüchteten verspürt. Dieses Empfinden, das in seinen Augen zur Bevorzugung der Migranten aus dem arabischen Raum und damit zu einer besseren Integration geführt habe, führte subjektiv zu Wut und Hass auf seine MitbewohnerInnen, hieß es. Winkler führte weiter aus, dass der Angeklagte nach seinen eigenen Aussagen nie unter psychischen Problemen gelitten habe. Auch nehme er keine entsprechenden Medikamente ein. Ein Polizeibericht von Mai 2022 belegt allerdings, dass der Angeklagte eine Nacht in der Psychiatrie verbrachte, nachdem er Mitbewohner mit einem Messer bedroht hatte.

Es waren lange zwei Stunden. Der ausführliche Vortrag der Anklageschrift ließ in tiefe Abgründe menschlichen Handelns rund um die Bluttat blicken. Auch die Nebenkläger und deren Angehörige schienen das Gehörte kaum auszuhalten. Einige von ihnen verließen mehrmals den Saal.

Einschätzung:

Der Bericht des Gutachters über die Persönlichkeit des Angeklagten versuchte Licht in diese Abgründe zu bringen, wenngleich dieser Versuch zunächst immer noch viele Fragen offen ließ. Man kann nur hoffen, dass sie im Verlauf des Prozesses beantwortet werden.

Auch wird sich die beteiligte Behörde, das Landratsamt (LRA) Bodenseekreis, das die Unterkunft als Anschlussunterbringung betreibt, diesen offenen Fragen stellen müssen. Diese Unterkünfte stehen als Kreisunterkunft wie Inseln auf kommunalem Gelände, für deren Sicherheit und Betreuung die Kommune jedoch gar nicht zuständig ist. Zuständig ist der Landkreis. Von dort kommt auch das Personal. In den zahlreichen Zeitungsartikeln vom Frühsommer hieß es, dass für die Betreuung der damals 550 Bewohner im Kreis insgesamt umgerechnet 16 Vollzeitäquivalente zur Verfügung stehen. Hier. Ob das reicht? Aufklärung forderte die syrische Gemeinschaft im Sommer bei einer Demonstration nach der Tat und meldete sich zu Wort. Hier.

Es werden lange und belastende Prozesstage werden. Schon der erste Tag ließ die Beobachterin nachdenklich und ein wenig ratlos mit der Frage zurück: Schaffen wir das auf Dauer in den Kommunen? Das Thema Asyl wird bleiben. Zusätzlich sind die Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine zu versorgen, die beispielsweise auch hier bei uns in der Turnhalle leben, aber der Verantwortung des LRA unterstehen. Die sind bei dem Betreuungsschlüssel noch gar nicht mitgezählt.

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