im Münzhof LA


Die Premiere der „Vodkagespräche“ im Münzhof am vergangenen Dienstag ließ nur wenige Menschen wegen Corona zu. Kammerspiel eben. Passend zu dem Text des dänischen Autors Arne Nielsen, der seine Kulisse im letzten Jahr in der alten Villa Lindenhof in LA fand. AGORA berichtete hier und hier.
Ein Film in schwarz-weiß bildete das Intro zu der Lesung, die eigentlich keine war. Die Darsteller*innen kamen im letzten Jahr alle aus LA, um die Villa Lindenhof cineastisch zum Leben zu erwecken. Ein Familientreffen im Anschluss an die Beerdigung des Familienoberhauptes, ein verschlossenes Zimmer, ein wehendes weißes Kleid am Fensterkreuz hängend, der Blick auf den See, ein Mann im Baum, ein Chauffeur, Musiker*innen, eine Hausangestellte mit weißem Schürzchen. . . und ein Patron, den das Leben ins Wasser des Bodensees zieht und der dort versinkt.


Das alles auf die weiße Wand des Münzhofes projiziert. Klappe.
Auftritt der beiden Schauspielerinnen Catrin Striebeck und Karoline Eichhorn. Zwei Schwestern, Edda und Freya, die nach der Beerdigung des Vaters reden: Über ihre Lebensentwürfe und natürlich über das Erbe. Die eine, Edda, verheiratet mit Robert, gemeinsame Kinder. . .
Die andere, Freya, die ihr Leben in wechselnden Beziehungen eher unkonventionell fern ab vom See lebt. Beide grübeln über den Vater. Sie wissen, dass er sein Erbe außer der Villa an eine radikalkonservative Parteistiftung einer gewissen Erika vermacht hat. Auch eine Anspielung auf eine andere Dame mit Perlenkette gibt es. In diesem Zusammenhang alles nur Andeutungen.

Freya hatte viel mit ihrem Vater telefoniert. Aus der Vergangenheit von Ohr zu Ohr kann sie den Blick des Vaters auf Deutschland und seine erzkonservative Haltung zu Migration und Religion lenken, die immer wieder durch Eddas Frage unterbrochen wird: An was hat er geglaubt?
Unterhaltsam werden die Überlegungen der Schwestern immer wieder durch deren Einblicke in ihre persönlichen Lebensläufe ergänzt und natürlich durch Vodka. Mäandriernd, wirr, alltäglich. Nur, um immer wieder auf die Frage zurückzukommen: An was hat er geglaubt?
Dabei stellt sich heraus, dass Freya in prekärer finanzieller Situation lebt ( „ich esse 5 Tage in der Woche Reis, das macht am längsten satt.“) Als die beiden endlich den Nachlassbrief öffnen und die sonore Stimme ( gesprochen vonJoseph Bierbichler )des toten Vaters aus dem Off die Lesung übernimmt, ist klar, dass das Geld tatsächlich an die Stiftung gegangen ist und Freya wieder in die Villa am See einziehen soll. Eine Überraschung gibt es noch: Einen Brief der früh verstorbenen Mutter der beiden Mädchen, den der Vater bisher den Kindern vorenthalten hatte.
„ Glotzt nicht so romantisch!“ hat Brecht einst provokativ in seiner Theorie des epischen Theaters verlangt und meinte damit, dass der Zuschauer seine bequeme „kulinarische“ Haltung verlassen möge. Dass er nicht nur „mitleiden“, sondern eine desillusionierende Distanz einnehmen möge. Dass er die Helden auf der Bühne so als Produkte einer menschengemachten Umwelt begreife. Ja, der Abend war nicht zum bequemen Zurücklehnen gedacht. Es hätte Brecht gefallen.
Nach der Aufführung wurde diskutiert, in Gesprächen Fragen gestellt. Eine Frage lautete: War das ein politisches Stück?
Ja, es war ein hochpolitisches Stück. Auch deshalb, weil die Umstände der Aufführung und die Situation der Schauspieler in einer Pandemie an sich schon politisch sind. Den Aufruf zur Situation der Kultur in der Pandemie von Karoline Eichhorn finden Sie hier.
Morgen findet die letzte Aufführung in LA im Münzhof statt.

Anmerkung der Redaktion AGORA : Alle Bilder unterliegen dem Copyright von AGORA
Die Personen :

Was bleibt: Das nasse Kostüm

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